WHAT THE HELL: Show must go on?
vor 4 Jahren von Traildevil

«What the Hell!» So heisst unser Blog-Format, in dem wir uns mit aktuellen Mountainbike-Themen auseinandersetzen – von Techtalk und Sport, über Lifestyle und Szene-Gossip bis zu Bike-politischen Themen. Diese Woche geht es um die Grenzen des Machbaren. Die Frage danach, in welche Richtung Freeride-Contests in Zukunft gehen sollten und ob bald Grenzen erreicht sind. Wir freuen uns auf eine angeregte Diskussion. Ihr habt Themen für uns: Dann nichts wie her damit unter redaktion@traildevils.ch
Im letzten Blogpost haben wir darüber gesprochen, was Menschen motiviert und dazu antreibt, bestehende Grenzen immer weiter zu verschieben.
Auch bei den aktuellen Freeride-Events wie Hardline, Rampage oder Fest-Series zählt die Mentalität höher, schneller, weiter. Hat es für einen Sieg und die entsprechende Media Coverage noch vor einigen Jahren gereicht sich in Big-Mountain-Manier mehr oder weniger grossen Drops und Gaps zu stellen, so geht heute nix mehr ohne massive Airtime kombiniert mit Tricks, die wir früher nur bei BMX-Contests gesehen haben. Josh Bender und seinen Jah-Drop vor gut 20 Jahren natürlich einmal ausgenommen. Der ein oder andere kann sich vielleicht noch an sein Zitat «Life’s too short not to go big, got to go big» aus den frühen 2000er Jahren erinnern. Seiner Zeit voraus war er damit auf jeden Fall.
Wo sind aber also die Grenzen des Machbaren und vor allem des für die Sicherheit der Rider Vertretbaren? Sind die physikalischen Limits was Höhen und Weiten angeht demnächst erreicht? Wie viel Progressivität tut unserem Sport und vor allem den Athleten noch gut?

Brage Vestavik mit massivem Roadgap beim Hardline-Rennen (Foto: Dan Griffiths / Red Bull Content Pool)
Einerseits fördert der Drang nach mehr natürlich die Evolution unseres Sportes, auf der anderen Seite wächst der Druck auf die Athleten sich immer krasseren Stunts auszusetzen um im internationalen Geschäft und bei Sponsorenverhandlungen wahrgenommen zu werden. Oft wird dabei auch die persönliche Comfort-Zone verlassen oder das eigene Bauchgefühl ignoriert. Werden sportliche Höchstleistungen und gewagte Stunts aus einem eigenen Antrieb heraus gewagt und probiert, kann man natürlich sagen: «Das sind Profis, die wissen natürlich was sie tun und wo Ihre Grenzen sind.»
Kommt jedoch externer Druck dazu, sei es die Erwartung von Sponsoren nach Resultaten oder die Ansprüche von Veranstaltern nach einer möglichst krassen Show, so ist das Risiko natürlich exponentiell höher.
Nicht selten ist das Kursdesign von aktuellen Freeride-Contests so angelegt, das ausgesetztes und anspruchsvolles Terrain mit Geschwindigkeiten wie beim Downhillracing und Slopestyle-Tricks kombiniert werden. Angestachelt von Zuschauern, Kameras und anderen Athleten riskieren manche Rider oft mehr als gut für sie ist. Zwei km/h zu schnell oder zu langsam entscheiden bei der Anfahrt zu Sprüngen oft über Pokal oder Spital. Kommen dann noch erschwerte Wetterbedingungen wie Regen oder Wind dazu, wird so mancher Kurs selbst für die Weltelite mehr als herausfordernd und stellt enormes Verletzungspotential dar.
Bei den Trackwalk-Videos zum Hardline-Rennen vergangenen Monat kommt beim Zuschauen sporadisch das Gefühl auf: Das Limit ist nicht mehr fern. Verletzungen und schwere Stürze bei Rennen und Freeride-Events hat es natürlich immer schon gegeben, nur sind heftige Bodenproben in letzter Zeit häufiger in den Edits der Fahrer zu sehen. Ist die Motivation der Rider zu immer grösseren und gefährlicheren Aktionen also intrinsisch oder extrinsisch – aus dem inneren Antrieb gewachsen oder doch durch Druck von aussen angestachelt?

Gaetan Vige on fire - (Foto: Samantha Saskia Dugon / Red Bull Content Pool)
Der Sportphilosoph Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin hält dazu bei einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk eine Differenzierung für notwendig:
«Die meisten Menschen, die im Extremsport tätig sind, kalkulieren genau, was sie da tun. Extrembergsteiger wollen nicht abstürzen. Die tun alles, um das zu verhindern. Die denken nicht daran, dass so etwas passieren könnte, und ergreifen alle möglichen Vorsichtsmassnahmen, um sich abzusichern.»
Für viele der extremen Wettbewerbsformate gelte dies aber nicht, findet Gebauer:
«Hier sind Leute dabei, die Dinge tun, die man nicht absichern kann. Das heisst, das geht gut oder das geht nicht gut.»
Warum aber riskieren Sportler ihre Gesundheit? Und wofür?
«Für eine Marke ganz bestimmt nicht. Und nur für Geld sicher auch nicht. Es ist eher glaube ich der Wunsch danach, über dieses Spiel mit dem Leben so etwas wie entweder Unsterblichkeit oder Übermenschentum zu erreichen», so Gebauer.
Sollte also in Zukunft eine Diskussion angestossen werden um das Phänomen „höher, schneller, weiter“ bei Freeride-Contests ein wenig zu limitieren und für die Sportler sicherere Bedingungen zu erschaffen? Oder sollten weiterhin die Grenzen des Machbaren im Freeride-Bereich bei Veranstaltungen gepusht werden? Was ist eure Meinung? Wir freuen uns auf eine angeregte Diskussion!
Jens Scheibe

Wenn Jens nicht grade im alten Land Rover auf dem Weg durch Afrika, mit dem Surfboard in Französisch-Polynesien oder mit dem Mountainbike auf norwegischen Trails unterwegs ist, findet man ihn meistens irgendwo in den Alpen. Eine Mountainbike-Verletzungspause in der Jugend hat dazu geführt, dass er sich mit Papas alter Kamera beschäftigte und sie nie mehr aus der Hand legte. Deshalb ist er heute als Surf-, Bike- und Outdoor-Fotograf und Filmemacher auf der ganzen Welt unterwegs und arbeitet als freier Redakteur für unterschiedliche Bike-Medien. Mehr dazu: Jens auf Instagram Kommentare