Trends kommen und gehen: Wie viel Innovationsgeist verkraften wir?

vor 2 Jahren von Traildevil
Erst vor kurzem verkündete Rotwild, dass sie mit ihren neuen Modellen, dem R.X1000 und R.C1000, bereits in diesem Jahr in Serie gehen werden. Eine Banalität könnte man jetzt meinen. Allerdings handelt es sich dabei, um die Bikes, die auf der Eurobike 2023 bereits für Furore gesorgt haben. Grund dafür war die Vorstellung der Tretlagerschaltung MGU (Motor Gear Unit), die in Kooperation mit Pinion entwickelt wurde. Versuche, Getriebeschaltungen zu etablieren, gab es bereits einige. Vielleicht erinnert ihr euch noch an die Hammerschmidt-Getriebekurbel von Sram, die Ende der 2000er vorgestellt wurde. Es soll hier aber gar nicht im Detail um diese eine Technologie gehen. Vielmehr geht´s um die Frage, wieso manche Ideen wie am Beispiel der Hammerschmidt Kurbel erst in der Versenkung verschwinden müssen, um Jahre später wieder entstaubt und neu gedacht werden. Verhalten wir uns diesbezüglich manchmal ein wenig zu engstirnig und urteilen zu vorschnell? 



Damals wie heute
Das oben beschriebene Szenario ist kein Einzelfall. Ähnliches konnten wir auch anderswo beobachten: Wer von euch kann sich beispielsweise noch an das Specialized Big Hit erinnern, was 2004 auf einmal mit einem 26 Zoll Vorder- und einem 24 Zoll Hinterrad gefahren werden konnte. Doch als hätte es sie nie gegeben, sind Mullet-Bikes wieder in der Versenkung verschwunden. Mittlerweile bieten die meisten Marken Hinterbau-Optionen an, die ein Mullet-Set-up unterstützen – mittels Flip Chip meist sogar ohne oder nur geringen Auswirkungen auf die Geometrie und die damit verbundenen Fahreigenschaften. Eine ähnliche Renaissance erleben zurzeit High-Pivot Bikes. Wer glaubt, dass es sich dabei um eine Weltneuheit handelt, irrt, denn bereits in den 90ern stellte Cannondale mit dem SE2000 ein Modell vor, was sich eben jene Vorteile der Hinterbau-Plattform zu Nutze macht. Doch auch hier vergingen fast 30 Jahre bis Cannondale dieses System neu erfand und mit dem Jekyll den Markt überraschte.

Das wirft allerdings die Frage auf, was sich in dieser Zeit geändert hat, schliesslich bleiben die physikalischen Annahmen, die damals gegolten haben, identisch. Was sich ändert, ist der technische Fortschritt, um Innovationen in bestehende Konzepte zu integrieren sowie unsere Ansprüche an den Markt. Gerade unsere Ansprüche sind dabei im raschen Wandel, was zur Folge hat, dass bestimmte Einflüsse eben erst zeitverzögert integriert oder etabliert werden können. Das kann der Wunsch nach einem ressourcenschonenderen Umgang sein aber genauso Konsequenzen, die weltpolitisches Ereignisse nach sich ziehen. Dinge die wir schnell einzuschätzen wissen, brauchen ihre Zeit um sich in Produkten wiederzufinden, denen eine jahrelange Entwicklungsarbeit vorausgegangen ist.

In Sekundenschnelle können wir auf Ereignisse reagieren und eine Meinung darüber kundtun, ob wir in einer Innovation einen Nutzen oder eine Spielerei sehen. Einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wann die richtige Zeit für Innovationen ist, scheint es aber nicht zu geben – kann es aber vielleicht auch gar nicht. Wo wären wir, wenn Gary Fischer 1973 bereits mit verdrehten Augen abgewunken hätte und das erste MTB nie den staubigen Boden Kaliforniens berühren durfte.

Was Gary wohl damals gesagt hätte, wenn man mit der Utopie an ihn herangetreten wäre, dass rund 50 Jahre später alle auf 29 Zoll Carbon-Laufrädern und vollgefederten Sofas, die Berge hinunterschweben werden. Mit dem gelebten, rebellischem Outdoor-Enthusiasmus von früher hat das wohl wenig zu tun.




Wie viel Fortschritt wollen wir denn nun?
Ein flacherer Lenkwinkeln? Gerne. Darf es auch noch ein steilerer Sitzwinkel sein? Absolut. Und kabelloses Schalten? Auch sehr gerne.

Versucht man das Echo der Medien-Bubbles, der Velo-Industrie und der Community einzufangen, scheint es fast so, als könnten wir uns genau auf eine Sache einigen: Veränderungen ja, aber bitte nur bis zu einem gewissen Grad. Obwohl wir uns Ideenreichtum wünschen, reicht bereits ein Tropfen aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Sobald es uns zu weit geht, kreisen die digitalen Mistgabeln warnend über den Avataren und die Kommentarfelder glühen. Innovation scheint für uns ein Balanceakt zwischen den technischen Möglichkeiten und unseren subjektiven Wünschen zu sein. Auch wir ertappen uns hin und wieder dabei, wie wir ungerechtfertigterweise Dinge verteufeln, bevor wir sie verstehen oder ihren Nutzen für zukünftige Generationen einzuschätzen wissen. Dabei hat uns die Geschichte des Mountainbikens gelehrt, dass Innovation und Rebellion ein Stückweit Hand und Hand den Trail hinunterstolzieren. Selbstverständlich soll das keine Einladung dafür, alles Gut zu heissen. Vielmehr geht´s darum, Ideen zu hinterfragen und mit einem Blick in die Zukunft sagen zu können, dass diese oder jene Idee durchaus etwas nach sich ziehen kann, was mir persönlich gefallen könnte oder der Community weiterhilft.

Ein wenig mehr Zuversicht

Schlussendlich sollten wir uns doch glücklich schätzen, dass sich viele kluge Köpfe in der Velo-Industrie Gedanken machen und genauso über Lösungsansätze grübeln – egal ob es sich dabei um die Zugänglichkeit unseres Sports oder die Funktion wichtiger Bestandteile handelt.

Und so bleibt der Grat der Innovationen ein schmaler. Auf der einen Seite die Ideen sowie die technische Umsetzung und auf der anderen Seite unsere Akzeptanz. Kollidieren beide Welten zu sehr miteinander muss wohl erst ein wenig Zeit vergehen. Manche Ideen bleiben dann in der Versenkung, während andere wie ein Phönix aus der Asche wieder auferstehen, sich etablieren und später womöglich wieder ersetzt werden.

Niemand von uns ist gezwungen, von nun an Fan von Getriebe-Velos zu sein. Allerdings sollte man den Innovationsgeist zu schätzen wissen, der damit einhergeht. Ein Riemen, der konstant auf der optimalen Kettenlinie läuft, minimiert Verschleiss und ein Schaltwerk, das von Aussen geschützt in einer Box liegt, kann weder verschmutzen noch am nächsten Stein abreissen. All das sind Probleme, über die wir auf Touren genauso wie im Bikepark stolpern. Aber nur weil die E-Bike-Thematik hier und da auf Ablehnung stösst, können wir nicht die Augen davor verschliessen, dass hier Probleme gelöst werden, mit denen nicht nur Almen-Touris zu kämpfen haben, sondern eben auch die Brap-Elite der nächstbesten Jumpline.

Wir können von uns behaupten, dass wir uns auf die kommende Bike-Saison mit all ihren Ideen und Entdeckungen freuen. Die digitale Mistgabel werden wir jedoch demonstrativ ein bisschen weiter weglegen. Kommentare

Traildevil

vor 2 Jahren 12/6/2023

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Hansueli Spitznagel