Tessiner Wiederholungstäter
vor 2 Jahren von Traildevil

Es gibt Orte, die uns Mountainbiker in ihren Bann ziehen. Die das gewisse Etwas haben, das uns immer wieder dorthin aufbrechen lässt. Beim Tessin scheint das auffällig vielen Bikern so zu gehen. Wir haben einige bekennende Fans des «Sonnenkantons» nach dem «Warum» gefragt, und um heisse Tipps aus dem Nähkästchen gebeten. Voilà! Hier kommt neuer Stoff für die nächste Wiederholungstat!

Region: Valle di Blenio Rider: Dominik Hug
No Flow – mit Absicht
Wenn Dominik Hug nicht gerade als Projektleiter Trailplanungen begleitet, oder als «Bike Bueb» Camps veranstaltet, ist er am liebsten im Valle di Blenio unterwegs. Warum? Weil er auf «Overtourism» pfeift und beim Mountainbiken gerne die Betonung auf «Mountains» legt.

Authentisch ist aber auch das Wegenetz. Sicher finden sich im Valle di Blenio und dessen kleinen Nebentälern auch offizielle und zertifizierte Bike-Touren. Etwa die «Route 65», welche vom Passo di San Gottardo bis nach Biasca führt. Wer sich dort aber bestens ge- shapte Trails erhofft, wird eine Enttäuschung erleben. Sicher wird das Wegenetz gepflegt und instandgehalten – eine Aufgabe, um die sich der lokale Club der Blenio Bikers mit Hingabe kümmert. Der Charakter der Strecken, die ursprünglich als Verbindungs- und Wirtschaftswege zu Alpen, Köhlereien oder Schutzhütten angelegt wurden, bleibt dabei aber absichtlich unangetastet. «Hier findest du vor allem No-Flow-Trails. Die Abfahrten sind meist technisch anspruchsvoll, oft steil oder verblockt – genau mein Geschmack!»
Womit Dominik nicht gesagt haben will, dass es sich hier um ein «klassisches» Bikerevier für Höhenmeterfresser handle. «Du kannst zum Beispiel den Zug und die Standseilbahn Ritòm nehmen. Dann musst du wenige Höhenmeter strampeln und hast epische Trailabfahrten ins Valle di Blenio vor dir!», erzählt Dominik. «Oder der Sessellift Nara in Leontica. Der transportiert Bikes, und von dort oben starten vier offizielle Trails und coole Enduro-Touren!» Eine davon ist der Brüsacü Trail, der die Nummer 384 trägt und bei keinem von Dominiks Besuchen fehlen darf. «Da hast du 1300 Tiefenmeter Abfahrt am Stück auf einem Hammertrail. Und dann ab in den Wildbach!» Klingt verlockend. Oder um es mit Dominiks Worten zu sagen: «Hueregeil!».

Region: Ascona–Locarno Riders: Anita und Caro Gehrig
Zurück zu den Wurzeln
An Trails direkt vor der Haustür herrscht bei den Enduro-Twins Caro und Anita Gehrig wahrhaft kein Mangel. Und trotzdem zieht es sie immer wieder von Flims ins Tessin. Das hat handfeste Gründe – und auch Gründe nostalgischer Art.
Oh, my God, was für eine geile Ecke!», so bringt Anita das kollektive Erweckungserlebnis der beiden Twins auf den Punkt. Sicher waren die beiden auch schon vor der Downhill-Weltmeisterschaft am Monte Tamaro auf dem MTB gesessen. Doch während der WM am Streckenrand zu stehen und zuzusehen, wie sich die damalige Weltelite durch eine halsbrecherisch steile Rinne zu Tale stürzte, war auch in der Rückschau noch die Initialzündung für alles Folgende: «Das wollen wir auch!» Zwei Tage später standen die Zwillinge beim Velohändler und schafften ihre ersten Downhill-Bikes an. Der Rest ist Geschichte.

Soweit sie das Tessin angeht, kann man von einer Fortsetzungsgeschichte mit vielen Kapiteln sprechen. Ob im Frühjahr, wenn es darum geht, mit dem Rennvelo die Grundlagen für spätere Race-Einsätze zu legen, oder im Herbst, wenn die Duelle der Saison gefochten sind und die Sonne im Süden noch einen zusätzlichen, stressfreien Trail-Tag verspricht – das Tessin, vor allem die Region um Ascona und Locarno, war und ist noch immer ein fester Bezugspunkt im Saisonkalender der schnellen Twins. Klar spielt dort viel Pragmatismus hinein. «Von Flims aus brauchen wir mit dem Auto nur anderthalb Stunden, bis wir vor Ort sind», erklärt Caro. «Das lohnt sich auch für nur einen Tag, wenn in unserer Lodge ausnahmsweise mal nichts los ist!» Und es hat auch etwas mit der Lage ihres Heimatortes zu tun, der sich oft genug auf der «falschen Seite» der Wetterscheide befindet. «Es ist schon oft vorgekommen, dass wir bei Regen in den San-Bernardino-Tunnel gefahren sind – und auf der anderen Seite schien plötzlich die Sonne!» Grund genug, um das Tessin zum bevorzugten Naherholungsziel zu küren? «Nein! Da gibt es die urigen Grotti, die schönen Orte, die Seen, die Uferpromenaden mit Palmen und Gelati. Auch wenn wir oft nur einen Tag haben, fühlt sich das jedes Mal wie Urlaub an!» Und natürlich gibt es auch noch die Trails. Sicher ist die originale Downhill-Strecke am Monte Tamaro, «seinerzeit der Stolz der Schweizer Downhillszene und die härteste Abfahrt überhaupt», inzwischen aufgegeben, überwuchert, nicht mehr zeitgemäss. «Aber viele andere Trails vor Ort sind mega flowig und spassig zu fahren!» Also ein perfektes Freeride Einsteiger-Revier? «Nun ja, Flow ist relativ», lacht Caro. «Wenn man die gebauten Trails verlässt, bekommt man es schnell mit Felspassagen zu tun. Das ist schon eine Herausforderung. Aber wenn du das am Stück durchziehst, kommst du in einen Flow-Zustand!»
Dolce Vita also für alle, die das Grobe lieben? «Es gibt auch fahrtechnisch relativ leichte Trails. Zum Beispiel an der Cardada oberhalb von Locarno, oder der Carbon Trail an der Alpe di Neggia. – da muss man kein Enduro-Profi sein, um Spass zu haben», ist Anita überzeugt. «Aber die Trails im Tessin sind oft steil, oft verblockt, oft anspruchsvoll. Ein Einsteigergelände ist das nicht. Aber genau das hat uns ja angefixt. Genau deswegen kommen wir so gerne her!»

Region: Malcantone Rider: Lukas Stöckli
Kein schlechter Kanton
Wer bis vor 150 Jahren im «Malcantone» geboren wurde, stand auf der Schattenseite des Lebens. Der Landstrich galt als Armenhaus und war von Abwanderung geprägt. Heute geht es den Menschen gut, und erst recht den Bikern: Die freuen sich über den lokalen Trail-Reichtum.
Vor Ort erzählt man sich noch, wie die Armen früher ihre Kinder als Kaminkehrer-Gehilfen nach Mailand verkaufen mussten», erzählt Lukas Stöckli. «Wer vor Ort in der Eisenmine arbeitete, war auch nicht zu beneiden. Wer etwas konnte, wanderte aus. Malcantone – der schlechte Kanton. Der Name kam nicht von Ungefähr!» Zum Glück haben sich die Zeiten grundlegend geändert. Mit dem Bau von Strassenverbindungen wurde das abgelegene Tal zu Füssen von Arosio aus der Isolation befreit. Waren konnten leichter getauscht werden. Die Lebensbedingungen der Menschen besserten sich. Heute ist das Malcantone nach wie vor ländlich geprägt. Aber die Perspektive hat sich geändert. Der Ort ist zum Rückzugsort für alle geworden, die gerne von oben auf den Trubel im Tal rund um das kräftig angewachsene Lugano herabsehen wollen. Und seit einigen Jahren wird das Malcantone zunehmend zum Anziehungspunkt. Für unsereins. Für Mountainbiker, die das eng verflochtene, ursprünglich auf Weide- und Waldwirtschaft ausgerichtete lokale Wegenetz als optimalen Spielplatz zu schätzen wissen.

Zu dieser Sorte Mensch zählt jedenfalls das Bikeguide-Urgestein Lukas Stöckli. Auf Camps, privaten Guidings oder Streckentouren baut er mit Vorliebe immer wieder das Malcantone ein. Und das mit Vorliebe in den Nebensaisonen, vor allem sehr früh im Jahr. «Das Malcantone ist top für den Saisonstart», erklärt Lukas seine Vorliebe. «Hier vor Ort findest du sehr viele Tourenmöglichkeiten unterhalb der 1000-Meter-Marke. Hier sind schon in der zweiten Märzhälfte extrem viele, gute Trails machbar. Das ist locker zwei Monate früher als im Norden. Und dazu kannst du die Strecken praktisch beliebig verkürzen und verlängern. Für mich als Guide ist das optimal, weil ich so die Touren perfekt auf das Trainingslevel meiner Gäste anpassen kann!»
Die Nachricht über diesen Trailreichtum beginnt sich zunehmend zu verbreiten. Und mit ihr die Kunde, dass vor Ort längst nicht mehr nur Kilo- und Höhenmeterfresser auf ihre Kosten kommen. Letzteres hat unter anderem mit dem Black Deer Project zu tun. Hinter dieser Begrifflichkeit versteckt sich eine lokale, und beständig wachsende Community von Gravity und Airtime liebenden Bikern, die sich wenig südlich von Arosio einen beeindruckenden Spielplatz gebaut haben. Deren erklärtes Motto: «We love our region. We take care of the trails. And we shred them all!»
Was vor einigen Jahren als Aktion weniger «Verrückter» im Graubereich der Legalität begann, geschieht inzwischen mit offiziellem Wohlwollen von Grundbesitz und Kommune. Und sicher ist hier auch einer der Gründe zu suchen, warum man vor Ort zunehmend in die Mountainbike-Infrastruktur investiert. «Letztes Jahr wurde ein Trail gebaut, der von der Alpe Monteggio bis runter ins Tal führt», erzählt Lukas. «Das ist fast schon eine Murmelbahn. Aber das meine ich positiv. Wo früher vielleicht die letzten zwei bis drei Prozent der Biker noch fahren konnten, haben jetzt viele Spass!» Wenn das mal nicht schlecht ist?

Region: Mendrisiotto Rider: Simone Holzherr
Die grüne Grenze
Unter dem Begriff «il chiasso» verstehen Italiener so viel wie «chaotischer Lärm». Die Tessiner Grenzstadt «Chiasso» aber hat durchaus das Potenzial, in Mountainbiker-Ohren ganz anders zu klingen. Obwohl? Die Trails dort machen ganz schön Alarm!
Den Monte Olimpino kennt eigentlich jeder Biker. Zumindest jeder, der öfter mal Richtung Mittelmeer aufbricht. Vom Rückstau am Grenzübergang in Chiasso. Vielleicht liegt’s ja am Fernweh, oder an den Lärmschutzwällen vor der Zollstation. Jedenfalls scheinen die Trails auf dem Grenzkamm zwischen dem Tessin und Italien noch nicht vielen Bikern aufgefallen zu sein. «Das Gelände dort ist steil», erzählt Simone Holzherr. «Es gibt diverse Jumplines mit kleinen und grossen Sprüngen, Drops und Tables. Aber wenn man die Chickenlines nimmt, kommt man auch mit einem Trailbike gut zurecht!» Schlappe 300 Höhenmeter überragt der Dosso Palanza und dessen «Nebengipfel» das Zentrum von Chiasso. Nicht eben der Stoff, aus dem epische Trailabfahrten gestrickt sind. Aber in Kombination mit technisch anspruchsvollen Rides ein optimales Gelände für Enduro-Rides von quasi beliebiger Länge.
Dass Simone die Trails vor Ort gut kennt, ist ein Mix aus Zufall und Kontakten. Selbst gerne und intensiv auf Instagram aktiv, engagiert sich die Baslerin nebenamtlich auch in Sachen Social Media und Marketing für die IMBA Schweiz. Heisse Tipps aus der Bikeszene fallen als Nebenprodukt dieser Arbeit an. Vor allem aber verbindet Simone Holzherr und das Tessin eine recht lange, gemeinsame Geschichte. «Mein Vater hatte früher ein Häuschen in Cugnasco, in der Nähe von Locarno», erzählt sie. «Von daher habe ich schon als Kind regelmässig Wochenenden und Schulferien im Tessin verbracht.» Die Dreierkombination «Simone Holzherr – Mountainbike – Tessin» sei allerdings weit jüngeren Datums, und erst durch den Wechsel des Feriendomizils ins Valle di Blenio zustande gekommen. «Mit dem Mountainbiken habe ich im Tessiner Hochgebirge begonnen», erzählt Simone. «Wahrscheinlich kommt daher meine Vorliebe für die etwas gröbere Gangart!»

Dass sich bei einem häufig frequentierten Basecamp im Tessin mit den Jahren auch der Radius der Trailsuche erweitert, versteht sich von selbst. Was erklärt, warum sich Simones Ortskenntnis auch im Süden des Kantons kaum vor der mancher Locals verstecken muss. «Dieses Jahr bin ich über Weihnachten und Neujahr bei Biasca und Bellinzona meine ersten Trails gefahren», erzählt sie. «Aber das war schon eine kleine Ausnahme. Ganz früh oder recht spät im Jahr hat man auf den Trailspots im Süden schon mehr Spass!»
Gerne peilt Simone daher auch die Trails nördlich von Mendrisio an. Früh in der Saison sind noch die Vorberge das Ziel, später im Jahr darf es dann gerne auch mal ein etwas längerer Anstieg sein – etwa zum Monte Generoso. «Die Touren dort sind recht lang, aber nicht mega anspruchsvoll», erzählt Simone. «Aber das ist so eine Art Dolce-Vita-Biking, mit tollen Aussichtspunkten und schönen Einkehrmöglichkeiten.» Und, natürlich, einer ganzen Menge an versteckten und spassigen Trails, mit der sich manche Runde dort bestens würzen lässt. «Zuletzt war ich dort im letzten Spätherbst unterwegs», erzählt sie. «Die Trails waren bis zum Rand mit heruntergefallenem Laub gefüllt. Man hat kaum gesehen, wo man hinfuhr. Typisch Tessin eben. Und immer wieder unvergesslich!» Kommentare