Second Hand Bikes – Schnäppchen oder Finger weg?

letztes Jahr von Traildevil


Für den Preis eines halbwegs gut ausgestatteten Neubikes kann man sich locker einen Kleinwagen in die Garage stellen. Angesichts dessen fragen sich viele: Ist der Kauf eines gebrauchten Bikes eine Option? Eine kleine Auslegeordnung…

Text: Ralf Glaser

Die eingangs gestellte Frage liesse sich kurz und bündig beantworten. Ja, natürlich! Wenn man ein gut gepflegtes, gebrauchtes Bike zu einem vernünftigen Preis bekommen kann, ist das Zuschlagen immer eine Überlegung wert. Eigentlich ist allein die Fragestellung Ausdruck eines veritablen Luxusproblems. Schliesslich ist nicht jeder Zahnarzt oder Investmentbanker, und hat somit zehntausend Franken oder weit mehr in der Portokasse, um die Preisschilder der Bike-Industrie bedienen zu können. Wenn neues Material fällig wird, ist ein Schielen auf den Gebrauchtmarkt daher in normalen Zeiten immer eine Option.   Von «normalen Zeiten» kann im Sommer 2024 aber ganz allgemein kaum die Rede sein. Wen wundert’s also, dass auch die Bike-Branche Kapriolen schlägt? Dass der Fahrradmarkt eher nach emotionalen als nach streng wirtschaftlichen Kriterien funktioniert, kennt man ja zur Genüge. Aber kann sich jemand erinnern, zu einem vergleichbaren Zeitpunkt, also mitten in der Bike-Hochsaison, schon einmal solche Preisnachlässe angeboten bekommen zu haben? «Zwanzig Prozent auf den empfohlenen Verkaufspreis» dürfen aktuell schon fast als teuer gelten. Dreissig Prozent Nachlass bieten mancher Händler oft freiwillig an. Wer sich aufs Verhandeln versteht, hat gute Chancen, ein fabrikneues Bike auch zu einem noch grösseren Schnapperpreis einsacken zu können. Und dabei reden wir nicht von «alles muss raus!» Ramschware oder Bikes mit nur wenigen verfügbaren Rahmengrössen. Die Lager der Händler sind voll, das Kapital für bezogene Bikes ist gebunden. Vielen Händlern bleibt in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als zähneknirschend zu akzeptieren, dass sich an einem verkauften Bike nach Stand der Dinge kaum etwas verdienen lässt.

Verrückte Zeiten - der Corona Bike-Boom
Aber Moment mal, hatten wir nicht gerade erst einen Boom? Wie konnte es zu solch einer Situation kommen? Wir erinnern uns, wenn auch nicht gerne. Es ist noch gar nicht so lange her, als das Coronavirus die ganze Welt in Atem hielt. Überall wurden Freiheiten eingeschränkt und der Ausgang geregelt. Die Menschheit sah sich plötzlich in ihrer Mobilität beschnitten und auf sich selbst zurückgeworfen. Sportliche Betätigung an der frischen Luft blieb jedoch in den meisten Ländern erlaubt. Und da viele wegen gestrichener Urlaubsfahrten flüssige Geldmittel frei hatten, lautete die Lösung oft: «ein neues Bike muss her». Die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach neuen Bikes stiess aber zugleich auf ein deutlich verknapptes Angebot. Aufgrund stockender Lieferketten konnten die Hersteller die nachgefragten Bikes gar nicht so schnell auf den Platz stellen, wie die Händler sie verkauften. «Rabatte» waren in dieser Zeit ein Fremdwort. Wenn jemand nicht bereit war, den Listenpreis zu bezahlen und gleichzeitig lange Lieferfristen zu akzeptieren – nun, dann war es eben der nächste Kunde. Zugleich explodierte das Geschäftsmodell «Bikeleasing». Länder wie Deutschland fördern im Zuge der Mobilitätswende das Leasing von Fahrrädern steuerlich, was den Run auf neue Bikes zusätzlich ankurbelte. Eine veritable Blase entstand, und nicht wenige munkeln, dass sich die Hersteller mit rein durch technischen Fortschritt nicht mehr erklärbaren Preisaufschlägen zusätzlich gesundstiessen. Eine Zeitlang ging das gut. Doch dann tat die Blase, was Blasen gerne tun: sie platzte. In der Sorge, weiterhin lieferfähig zu bleiben, und gedrängt durch die Hersteller, die zusätzliche Produktionskapazitäten erst erschliessen mussten, platzierten die Händler massig Vorbestellungen. Doch dann normalisierte sich die Lage, und viele Händler sahen sich früher und umfangreicher beliefert als geplant. Und die Verbraucher? Die durften sich inzwischen wieder frei bewegen, und hatten sich ja zusätzlich in grosser Zahl bereits vor Kurzem ein neues Bike gekauft. Und wer kauft schon jedes Jahr ein neues Bike? Zu den noch vor zwei Jahren gültigen Preisen zumal? So kam es wie aus dem Lehrbuch. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage führt nachlassender Kaufwille zu sinkenden Preisen. Und genau diese Situation haben wir im Moment. 



Gebrauchtkauf: Pro und Contra Bikes, die vor zwei, drei Jahren zum damaligen «Normalpreis» eingekauft wurden, und jetzt auf dem Occasionsmarkt landen, haben da einen schlechten Stand. Gehen wir einmal bei einem gut gewarteten Bike von einem jährlichen Wertverlust von 20 Prozent aus. Für ein Bike, das vor drei Jahren für CHF 6000.- über den Ladentisch ging, wäre demnach heute ein Gebrauchtpreis von CHF 3072.- eine angemessene Verhandlungsbasis. Wenn zeitgleich ein fabrikneues Bike mit einem UVP von CHF 6000.- mit 30 Prozent Rabatt angeboten wird, stünden dafür CHF 4200.- auf der Rechnung. Sicher, eine Preisdifferenz von guten 1100 Franken zu einem Gebrauchtbike macht für viele Biker einen erheblichen Unterschied. Mit dieser Summe lässt sich leicht ein ordentlicher Bike-Urlaub planen. Doch ist die Summe gross genug, um dafür auf die Vorteile eines Neukaufs beim Händler zu verzichten?  

Wer mit dem Occasionsmarkt liebäugelt sollte sich bewusst sein, dass Garantien oft nur für den Erstkäufer gelten, und Privatleute eine Gewährleistung ausschliessen können (was sie meist auch tun). Selbst bei bester Wartung ist ein Bike immer Verschleiss unterworfen. Da schadet es nicht, gedanklich bereits ein gewisses Budget für Ersatzteile und Lohnkosten auf den reinen Kaufpreis aufzuschlagen, was den Preisunterschied zu einem Neubike weiter verringert. Wer Pech hat, und wem etwa bei einem gebraucht gekauften E-Mountainbike der Motor die Grätsche macht, muss demnach, ausser im Kulanzfall, hohe Reparaturkosten selbst tragen. In solch einem Fall kann ein gebrauchtes Velo schnell teurer kommen, als ein neues Bike zum aktuellen Tarif. 

Auf der anderen Seite bietet genau dieses Dilemma auch Ansatzpunkte für eine Preisverhandlung. Wenn etwa der Antriebsstrang eines gebrauchten Mountainbikes mal wieder erneuert werden könnte, kann es durchaus gerechtfertigt sein, die Preisvorstellungen des Anbieters zu hinterfragen. Wer hartnäckig verhandeln, und im Zweifel sein Bike auch selbst warten kann, dem eröffnen sich hier einige Gestaltungsspielräume. Ohnehin werden die meisten Gebrauchtbike-Anbieter bereits festgestellt haben, dass potenzielle Käufer gerade nicht unbedingt Schlange stehen. 

Letztlich lautet der Knackpunkt «Reparaturen und Wartung». Wer dies nicht selbst übernehmen kann oder will, sollte sich einen Gebrauchtkauf in der aktuellen Situation zweimal überlegen. Eine Option wäre, einem Händler ein gebrauchtes (und dann auch meist komplett überholtes) Bike abzukaufen. Die Verhandlungsspielräume sind dann zwar nicht ganz so gross, wie bei einem Handel zwischen Privatleuten. Auf der anderen Seite ist ein Händler auch bei einem Gebrauchtbike in der Gewährleistungspflicht, und bietet oft auch eine Gebrauchtbike-Garantie an. Bei einem zum Kaufzeitpunkt nicht ohne weiteres zu erkennenden Schaden kann das Gold wert sein.  

Und noch eins gilt es zu bedenken: Händler mögen mal mehr, mal weniger seriös und kulant sein. Als Unternehmer sind sie auf jeden Fall greifbar, und können, wenn es hart auf hart gehen sollte, in Regress genommen werden. Auch die allermeisten Privatleute sind ehrliche Menschen. Doch leider zeigt die Erfahrung, dass es auf dem Gebrauchtvelomarkt auch Halunken gibt, die dich um dein Geld erleichtern wollen. Wie du dich vor gängigen Betrugsmaschen schützen kannst, liest du in diesem Beitrag. 


Doch ob gebraucht oder fabrikneu: Wenn du aktuell gedanklich mit einem Bike-Upgrade schwanger gehst (und das Kleingeld dafür aufbringen kannst), dann schlag zu. So viel Bike fürs Geld wie in diesem Sommer 2024 bekommst du so schnell nicht mehr. Kommentare

Traildevil

letztes Jahr 7/12/2024

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Dominik Bosshard