Idealmasse: Vom Umgang mit Angst

vor 3 Jahren von Traildevil



«What the Hell!» So heisst unser Blog-Format, in dem wir uns regelmässig mit aktuellen Mountainbike-Themen auseinandersetzen – von Techtalk und Sport, über Lifestyle und Szene-Gossip bis zu Bike-politischen Themen. Diese Woche geht es um den Umgang mit Angst und Nervosität. Wie geht es euch, wenn ihr eine schwierige Stelle nicht fahrt? Wie arbeitet ihr an euren Ängsten? Diskutiert mit!

Da ist sie wieder, die Angst. Plötzlich wallt sie auf, lässt einen altbekannten Film vor dem inneren Auge vorbeiziehen: Wir fahren an – und fädeln zwischen den Felsen ein, der Vorderreifen hängt fest, das Hinterrad wandert nach oben, im Bogen gehen wir über den Lenker und landen schmerzhaft auf dem Boden. Allerdings nur in unserem Kopf. In Wirklichkeit stehen wir immer noch oberhalb der steilen Felspassage und überlegen, ob wir sie fahren sollen. Kommt euch bekannt vor? So geht es vermutlich den meisten von uns hin und wieder. Insbesondere nach einem Sturz wächst die Angst, das Erlebte könnte sich wiederholen. Steigen wir dann ab und schieben, nagt das mitunter am Selbstwertgefühl.

Bauchgefühl als Mass der Dinge
«Wie geht’s dir eigentlich, wenn du eine schwierige Stelle nicht fährst?», wurde ich neulich gefragt. «Ärgert dich das? Oder bleibst du da völlig gelassen?» Zugegeben, in den ersten Jahren auf dem Mountainbike haben mich solche Erfahrungen viel stärker gewurmt, vor allem, wenn ich mit erfahreneren (oder wagemutigeren) Freunden unterwegs war. Heute erlebe ich es eher als «part of the game», als etwas, das zum Biken dazugehört. Und die Fähigkeit, mich meist recht gut selbst einschätzen zu können, als Gewinn. Meistens sagt mir mein Bauchgefühl, ob ich heute besser absteigen sollte – oder die Schlüsselstelle fahre, die Grenzen zu erweitern. Entscheide ich mich dann, oftmals innerhalb des Bruchteils einer Sekunde, dafür, zu fahren, bin ich aber auch nicht vollkommen tiefenentspannt. Vielmehr spüre ich eine Mischung aus Aufregung und Fokussierung, die mich durch die Herausforderung pusht. Ist die Angst dagegen zu gross, fühle ich mich geistig wie körperlich regelrecht verkrampft – der Sturz ist vorprogrammiert.



«Fahr ich's – oder heute nicht?» (Foto: Markus Lang)

Die Mischung macht‘s
Tatsächlich belegen Studien, dass sowohl zu viel auch zu wenig körperliche und mentale Anspannung – die gefühlte Nervosität – unsere Leistung mindern. «Mit welcher optimalen Mischung aus Anspannung und Lockerheit man seine bestmögliche Leistung abrufen kann, ist je nach Persönlichkeit und Situation unterschiedlich, liegt aber ungefähr in der Mitte», erklärt mir Mila Hanke, Sportpsychologin und Mentaltrainerin aus München. «Diese Erkenntnis allein kann schon viel Druck im Sportalltag nehmen kann: Ich muss Angst und Nervosität nicht als Feind ansehen. Vielmehr kann ich beide als Energiequelle betrachten, die Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen und Körperspannung steigern und so meine Leistung fördern – wenn ich lerne, sie in meinem idealen Mass zu halten», fügt sie hinzu.

Und wie geht das?
Lernen erfordert Übung. Hier kommt Mentaltraining ins Spiel, das aber nur in Kombination mit einer sicheren Fahrtechnik Sinn macht. «Du kannst nicht plötzlich einen 5-Meter-Drop sicher landen, nur, weil du deine Angst runterregulierst und einfach springst», sagt die Sportpsychologin. Das leuchtet ein. Mentaltraining ist übrigens nicht nur etwas für Top-Athleten. Eine von vielen Übungen machen wir häufig ganz unbewusst: Das Visualisieren. Vielen Bikern hilft es, den optimalen Bewegungsablauf oder die ideale Linie vorab gedanklich durchzugehen. Dabei gewöhnen sie sich quasi schon mit Hilfe der Vorstellungskraft an die angstauslösende Stelle, nehmen wahr, welche Gefühle und Gedanken aufkommen und können sich Schritt für Schritt überlegen, was nötig ist, um die Herausforderung sicher zu schaffen.

Auf sich selbst hören
Und wenn wir einfach einen schlechten Tag haben? Uns unsicher fühlen, obwohl wir die Stelle schon zigmal gefahren sind? «Wenn sich die Angst trotz allem Training laut meldet, dann hör‘ drauf!», empfiehlt Mila. Dann sei es die schlauere Entscheidung, die Schlüsselstelle einfach mal herunterzuschieben. Oder die letzte Runde die letzte Runde sein zu lassen (auch wenn die Buddies dich noch so gerne überreden wollen). Das zeugt ja letztendlich auch von mentaler Stärke.  

Text: Mirjam Milad     




Mirjam Milad, freie Redakteurin, schreibt seit vielen Jahren für unterschiedliche Mountainbike-Medien in Deutschland und der Schweiz. Seit 2020 ist die studierte Forstwissenschaftlerin auch Geschäftsführerin des Mountainbikevereins in Freiburg i. Br. Kommentare

Traildevil

vor 3 Jahren 12/23/2021

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